PPR-NEWS
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KW 20/2024
Das fast neue Anything goes: Warum Konventionen vorherrschend waren, aber nicht mehr sind, zeigen wir am Besipiel der jüngeren Geschichte der Modeindustrie
Der Erfinder des Anything Goes
Alles ist möglich. Träumen ist erlaubt. Wissenschaft ein schwieriges Geschäft. Der österreichische Philosoph Paul Feyerabend prägte weitgehend den Fachbegriff „Anything goes“ (deutsch – frei übersetzt: „Mach, was du willst“). Auch in der Wissenschaft war der Zweifel angekommen, ob das, was man tut, auch richtig ist. In der Geschichte der Menschheit war oft gegen Regeln, Vorgaben und bestehende Gesetze verstoßen worden. Dass ein Wissenschaftler in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts das „Anything goes“ zu einem möglichen Prinzip des wissenschaftlichen Arbeitens erhob und der Begriff fortan mit Feyerabend verbunden ist, das war neu.
In der Mode ist der Regelbruch die Regel
Wer sich mit der Mode-Branche auseinandersetzt, weiß, dass sie den Trend für das kommende Jahr und die nächste Saison möglichst früh vorhersagen wollen, damit der Absatz gesichert ist. Wer nun modeprägend ist, wie der verstorbene Karl Lagerfeld, das deutsche Beispiel eines in die Zukunft sehenden Modedesigners, hat die Käuferinnen und Käufer auf seiner Seite. Mode reagiert auf gesellschaftliche Themen. Was diese Saison neu ist: Seit Corona und der Verunsicherung der Gesellschaft durch neue Kriege bieten die Designerinnen und Designer viele Hosen, Jacken, Hemden und Accessoires in Grüntönen ähnlich von Militärtarnfarben an, dazu Rucksäcke und weite Mäntel, hinter denen gut Schutz gefunden werden kann. Das Anything goes gab es immer. Konventionen, was zu tragen ist, auch. Adelige trugen teure Stoffe, der Klerus einheitliche Kleidung und die Arbeiterfamilie das Preiswerteste. Wie Schützende und Beschützte modisch in der Werbung oder auf der Straße aufzutauchen, ist ein neuer Trend. Das „Flower Power“ aus den 1960er Jahren ist weitgehend dem harten Look der Action-Heldinnen und Helden gewichen. Ob umgekehrt die Gesellschaft Schutz braucht, weil die Mode dieser Saison rüstig ist? Feyerabend würde wohl sagen: „Trage, was du willst.“ Und da Konventionen eh stetig gebrochen worden sind, muss einem der neue Look auch keine Sorge machen. Hauptsache, es gefällt.