PPR-NEWS

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KW 43/2024

Unsere Bundesregierung in den Krisen: Brauchen wir Politiker oder Technokraten? Ein Plädoyer auf die Zurückhaltung in der Sprache und in den Handlungen.

Technokraten vs. Politiker
 
Technokraten sind Menschen, die Entscheidungen auf vermeintlich sozial neutralem sowie wissenschaftlichem und technisch fundiertem Wissen aufbauen. Technokraten gehen davon aus, es gebe ideologie- und interessenfreie Wege, für das Gemeinwohl und für staatliche Stabilität zu sorgen. Der Begriff leitet sich vom Altgriechischen téchne, zu Deutsch „Fertigkeit“, und kratos, „Herrschaft“, ab. Es ist also die „Herrschaft der Sachverständigen“. Das wirkmächtigste technokratische Projekt war der Wiederaufbau Westeuropas durch den Marshallplan 1945. Gleichzeitig sind Technokraten aber nicht in der Lage, Menschen zu emotionalisieren. Dem Technokraten gegenüber steht der Typus des Politikers. Verschiedene Theorien versuchen, das Verhalten von Politikern zu erklären. Die Public-Choice-Theorie beschreibt politische Entscheidungsprozesse anhand der Methodik der Wirtschaftswissenschaften. Politiker sind demnach rationale Nutzenmaximierer. Sie haben eine starke Wiederwahlorientierung und führen deshalb eine Politik, die bei den nächsten Wahlen zu einer Stimmenmaximierung führt. Nach dieser Theorie orientieren sich Politiker an kurzfristigen Zielen, da Wähler eine starke Gegenwartspräferenz aufweisen und Wählern langfristige Konzepte aufgrund ihrer Komplexität nicht vermittelbar sind. Gute Politiker sind in der Lage, die Wähler für politische Projekte zu begeistern.
 
Zurückhaltung als Staatskunst
 
Der Unterschied zwischen Technokraten und Politikern durchzieht die bundesdeutsche Geschichte. Dabei kristallisierten sich diese zwei Topoi bei den beiden Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt heraus. Willy Brandt war während seiner aktiven Laufbahn der klassische Politiker. Menschen fühlten sich emotional von ihm angesprochen. Er konnte begeistern. Ein Bild, auf dem Willy Brandt scheinbar gedankenverloren Mandoline spielte, zeigte ihn vermeintlich intim und wurde damit zur Ikone. Willy Brandt kultivierte im Wahlkampf gezielt ein jung-modernes Image und galt in der historischen Einordnung als Visionär. Helmut Schmidt hingegen wurde als kühler Hanseat wahrgenommen. Als Verteidigungspolitiker und späterer Finanz- und Wirtschaftspolitiker war seine Fachkenntnis hochgeschätzt. Das bestimmte Handeln als Innensenator während der Sturmflut 1962 machte ihn zum Macher. Sein berühmtestes Zitat, „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, offenbart seine technokratische Haltung gerade im Kontrast zu Brandt. Angela Merkel führte in ebenso kühler Weise eine technokratische Politik. Sie war während ihrer Amtszeit vor allem geschätzt für ihre Zurückhaltung. Olaf Scholz folgt Angela Merkel nun in ihrer ruhigen Rhetorik, steht aber auch in der Traditionslinie eines Helmut Schmidt, denn Scholz sieht sich zuerst als Fachmann. „Politik wird mit dem Kopf gemacht“, wie es der deutsche Soziologe Max Weber treffend formulierte. Gerade in unsicheren Zeiten bedarf es deshalb ruhige und gefasste Menschen. In der Krise wird Zurückhaltung damit zur Staatskunst.

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