PPR-NEWS

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KW 26/2024

Ist das Moral oder Literatur, wenn wir das Gute beschwören: das Beispiel Carolin Emcke

Ein schöpferischer Geist und ein wünschenswerter Charakter

Wer heutzutage von Terror spricht, redet in den seltensten Fällen über die Rote Armee Fraktion, einem leidvollen Kapitel der damals jungen Bundesrepublik. Selbst heute sind nicht alle ehemaligen Mitglieder gefasst. Das Landeskriminalamt Niedersachsen fahndet auch im Juni 2019 weiterhin nach den Terroristen der 70er Jahre, berichtet der NDR. Die Autorin und Publizistin Carolin Emcke verfolgt einen anderen Ansatz. Mit 22 Jahren wurde ihr Patenonkel, seiner Zeit Vorstandssprecher der Deutschen Bank, von der RAF ermordet. Für die Wochenzeitung Zeit schrieb sie 2007 einen Artikel über das einschneidende Erlebnis – und wünscht den Tätern die Freiheit. Ihre einzige Bedingung ist ein Geständnis zum Wohle der Aufklärung. Nur durch den Dialog würden die Konflikte zweier verfeindeter Parteien überwunden werden. Die Menschen sollten sich, so Emcke, für Kritik öffnen. Durch Befriedigung der Rache würde die andere Seite nie verstanden werden und das Rad der Gewalt nicht anhalten.

Und die Moral in der Geschicht

In Ihrem neuen Buch »Ja heißt ja und…«, das Emcke auch als »Lecture Performance« aufführt, thematisiert sie unter anderem Sexismus, Missbrauch, Ausgrenzung, Macht und familiäre Gewalt, berichtet das Hamburger Abendblatt. Auch hier rückt sie wieder das kritische Hinterfragen zu den moralisch aufgeladenen Themen in den Vordergrund. Sie stellt in der Gesellschaft fest verankertes Verhalten auf den Kopf und fordert ihre Leser auf, jede Situation mit offenem Geist aufs Neue zu bewerten. Hier ist wohl der Einfluss ihres Philosophie-Studiums und die Promotion beim berühmten Sozialphilosophen Axel Honneth spürbar. Emcke hält ihren Lesern und Zuhörern den Spiegel vor, sie fordert und knackt den Karma-Highscore. Die Grenzen zwischen Unterhaltung und moralischer Lehrstunde verschwimmen – sie schließen sich auch nicht gegenseitig aus. Selbst Kinderbücher bringen ihrem jungen Publikum Verhaltensregeln näher. Emcke hat etwas mehr Anspruch an ihre Leser. Sie orientiert sich zwar an der gängigen Moral, warnt aber auch davor, diese für absolut zu halten. Solange sie ihrem Publikum mit dem Mittel der Unterhaltung das kritische Denken näher bringt, dürfen Moral und Literatur ruhig Hand in Hand gehen.

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