PPR-NEWS
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KW 23/2024
Ich war tatsächlich in New York – und muss jetzt zusehen, wie es unter die Oligarchen gerät
Die Stadt der Städte ist fast verloren gegangen
Ja, unsere westdeutsche und ostdeutsche Generation hat die Stadt der Städte geliebt. In Filmen, Songs und in der Literatur waren wir fast süchtig nach dem Bild, das New York City uns bot. Viele, die wie ich in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts groß geworden sind, sehnten sich nach Manhattan, wiewohl wir erleben mussten, wie sehr Gewalt, die tödliche Droge Crack und eine schlechte Stadtregierung die Stadt der Städte kaputt gemacht hatten. Als wir dort waren, waren wir fasziniert vom Glanz der Hochhäuser, von den Bildern, die wir erkannten, und von den Verrücktheiten oder Großartigkeiten, die nur New York zu bieten hatte. Als wir Anfang der 90er Jahre dort waren, liebten wir die Welt dort. Wir liebten das Eislaufen am Rockefeller Center, das Billard-Spiel in einer Keller-Kaschemme und den Jazz in der »Factory«, einem Club, der südlich der Hudson Street Weltklassemusiker aufbot. Wir liebten das Bunte des Punk, des Andy Warhol, der berühmten Museen, liebten die Straßen, Gerüche am Astor’s Place, alles. New York City war zwar zerstört durch Kriminalität, Armut und Verwahrlosung, doch als wir älter wurden, lernten wir US-amerikanische Mittelständler vor ihrer Vertreibung aus der Stadt kennen, die Manhattan, der Bronx und Brooklyn die Treue gehalten hatten. Wir wurden ein Teil davon, und damit hatten wir als deutsche Europäer einen Platz gefunden in der Stadt, die die Vereinten Nationen beherbergt, die die westliche Kultur darstellt und die an der New York University oder der Columbia University nicht wenigen von uns einen Ort für das Denken bot, das von dort aus in die weite Welt trug. Heute ist das Geschichte.
New York will uns nicht mehr – dann eben nicht, mein Freund
New York war immer teuer. Wer dort leben wollte, wohnte in kleinen WGs oder Apartments, die so kostspielig waren wie ein Reihenhaus in Hamburg oder München. Heute hat sich alles dort derart schnell weitergedreht, dass die Wut groß geworden ist, dass unser New York eine segregierte Stadt der Superreichen geworden ist. Nur ein paar Zahlen aus den Immobilienportalen: 2.500 Dollar bis 9.000 Dollar kostet eine Monatsmiete ohne Aufzug und Portier am Union Square, in Midtown bis zu 12.000 Dollar mit dem Aufzug und dem Portier, die Upper East Side kostet 10.000 Dollar und mehr. Und Harlem, das arme, ehemals verzweifelte Harlem kostet auch schon 3.200 Dollar, seit der ehemalige US-Präsident Bill Clinton mit seinem Büro dorthin zog und die Aufwertung einleitete. Ich durfte New York kennenlernen, saß über dem Hudson River in der Konferenz, in New Jersey war ich und spielte dort Baseball. Ich kenne die Fotografin Cathrin Max, die mir Obdach gab im East Village und viel von alten Zeiten erzählte. Ich kenne Bill Campbell, Tom Goodman, Yvonne und Marie und viele andere dort. Nein, Tempi passati. Wer heute ein anständiges Leben führt und in New York leben möchte, ist dort verloren. Die Oligarchie der Welt – die Superreichen haben New York übernommen. Wohin das führt? Es führt nach Moskau. Denn als ich Moskau Ende der 90er Jahre kennenlernte, waren die braven Menschen dort ohne jegliche Vorstellung davon, in der City auch nur einen Kaffee trinken zu gehen – weil es schlicht und einfach unbezahlbar für diese war, die vor den Toren Moskaus lebten. So ist New York eine segregierte Stadt für die Millionäre und für die Milliardäre geworden. Was hat das noch mit der Stadt der Städte zu tun? Ich muss nur eines sagen: nichts mehr. Das musste heute sein. Denn ich war in New York und ich liebe New York. Heute war das ein Abgesang auf den Ort, von dem viele Deutsche immer noch träumen. So eher nicht. Dann ohne uns.