PPR-NEWS

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KW 42/2024

Warum aus dem deutschen Kabarettisten Dieter Nuhr kein Comedy-Star mehr werden kann, ist alles andere als zum Lachen – und doch lächeln wir gerne seit Jahren nur so mit ihm

Dieter, nu(h)r mal so, reicht nicht

 

Das moderne politische Kabarett wurde in den USA erfunden. Der längst vergessene Harvard-Mathematik-Professor Tom Lehrer nahm in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA ein paar Schallplatten auf. Eine sei genannt: »An evening wasted with Tom Lehrer«. Während er am Klavier seine bitterbösen und äußerst klugen Satiren sang, erfand er viele, wenn nicht alle Muster des heutigen Kabaretts. Seine Werke wie »Poisining pigeons in the park« sind längst nur noch Insidern bekannt. Alle folgenden sprechenden und singenden Kritiker von Gesellschaft mit Mitteln der Ironie und des Zynismus begründen sich darauf in den Unruhejahren der Revolte der 68er-Bewegung. Berühmte deutsche »Ätzer« und »Zersetzer« waren Dieter Hildebrandt oder mein Freund Matthias Deutschmann. Doch es sind längst nicht diejenigen, die heute wie ein Macho Mario Barth oder ein weltverlorener Ingo Appelt im TV das ausmachen, was in Deutschland Comedy genannt wird. Kabarett muss einer Grundregel folgen: nach oben beißen und nach unten schützen. Als Harald Schmidt in den 90er Jahren die Schadenfreude in der deutschen Kultur zum Wert an sich erhob und sich damit bis zu Grimme-Preisen durchsetzte, war das politische Kabarett fast verloren. Wenige, wie Volker Pispers, waren in der Lage, ein Nischenpublikum zu finden, das seine Einsichten und Aussichten auf Berlin wertschätzt – und auch bezahlt. So ist es fast ein Wunder, dass heute in der breiten Öffentlichkeit ein Mann steht, der eher als erklärender Nachbar seine Späße und Wortkaskaden über die Deutschen brachte, bevor er zu dem wurde, was er heute ist: Dieter Nuhr, ein politischer Kabarettist.

 

Ein Lehrer legt sich mit dem radikalen Islam an

 

Während auf der Frankfurter Buchmesse ein Salman Rushdie ein lebendiges Beispiel für die Macht des Wortes ist – er hat bis heute das Todesurteil wegen Blasphemie gegen sich –, ist der Niederrheiner Dieter Nuhr jemand, der einfach in Essen studierte, das Staatsexamen für das Lehreramt ablegte und wie viele andere in Schülertheatergruppen das Handwerk erlernte. Bereits 1989 entstand das Programm „Pralle Pracht“, das ihn mit Hilfe der nachfolgenden Programme bis in den deutschen Radio- und TV-Mainstream trug. Mit „Nuhr weiter so“ erhielt er 1998 den Deutschen Kleinkunstpreis, dann 2003 den Deutschen Comedypreis und ist heute aus vielen Elementen der Öffentlichkeit als kritischer, kluger und gebildeter Begleiter nicht mehr weg zu denken. Nuhr gehört mit jährlich mehr als 200.000 Zuschauern zu den erfolgreichsten Kabarettisten in Deutschland. Sein Programm „Ich bin’s nuhr“ besuchte etwa eine halbe Million Menschen. Seit längerem legt sich diese Ein-Personen-Maschine mit Menschen an, die religiösem Wahn verfallen sind und teilt auch aus gegen den radikalen Islam. Während viele Comedy-Prominente nicht wirklich weh tun, hat Dieter Nuhr eine Haltung gefunden, die ihn angreifbar und ihn in diesen Zeiten zu einem gefährdeten deutschen Intellektuellen macht. So ist noch Hoffnung, dass Spaß nicht die Gesellschaft mit tosendem Lachen über Minderheiten kaputt macht. Dieter Nuhr zu hören und zu sehen ist das, was Tom Lehrer wohl wollte, wenn er an Kabarett gedacht hat: das Lachen müsse im Halse stecken bleiben, ohne dass einem der Atem ausginge.

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