PPR-NEWS
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KW 38/2024
Wie sich das moderne Deutschland eben nicht abgeschafft hat, erzählen wir aus der neuen Sicht von ausländischen Medien in diesen Monaten auf unser Land: Kann die ehrenwerte Washington Post falsch liegen?
Deutschland kommuniziert nun gut mit nur einem Gesicht
Noch vor einer Woche, als die neu eingeführten Grenz-Sichtkontrollen nicht Thema waren, überboten sich ausländische Medien in ihren Komplimenten. Weil Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Menschen vom Budapester Hauptbahnhof in einer Notsituation einreisen ließ, geschah etwas Besonderes weltweit. Deutschland erhielt mit Merkel ein Gesicht der guten Sache. Die israelische Tageszeitung »Haaretz« schrieb: »Deutschland, Licht für die Nationen der Welt«. Der »Corriere della Sera« beschrieb auf einer ganzen Titelseite den Wandel der deutschen Mentalität. »La Repubblicca« schrieb: »Der Wandel der Merkel: Berlin wählt das gute Gesicht«. Die ehrenwerte »Washington Post«, die fern jeglichem Huldigungsjournalismus ist und einst den US-Präsidenten Richard Nixon zu Fall brachte, formulierte: »Frau Merkels Antwort auf die Krise war ein Lichtblick in einer ansonsten trostlosen Umgebung.« Was war geschehen, dass die Pickelhaube, die bis heute beliebtes Karikatur-Zerrbild in der Welt ist, verschwand und Angela Merkel für viele Menschen zum Gesicht der europäischen humanistischen Idee wurde?
Ja, eine schwierige Lage – nein, ein Thema für alle
Wer im Ausland als Deutscher reist oder arbeitet, sieht sich seit langer Zeit mit sehr guten Klischees assoziiert: Die Autos werden gelobt, die Dichter wie eh und je, die Verbindlichkeit als Vorbild beschrieben, die Schlösser als Weltereignisse gefeiert, die Freundlichkeit mit Freundlichkeit beantwortet. So ist es schon lange wahr, dass Deutschland, anders als oft differenziert, als Partner und Freund angesehen wird. In einer tatsächlich extrem schwierigen Lage in Europa gleichwohl einen humanitären Korridor für die Flüchtlinge von Ungarn geschaffen zu haben, ist auf diese Art in der »deutschen« Kommunikation einzigartig. Dass eine deutsche Regierungschefin nicht nüchtern, zögerlich und sachlich allein entschied, das war etwas Neues für viele Medien im Ausland – und damit ein Bespiel einer Herzens-Tat, die in dieser Dichte und Größe für viele eine große Überraschung war. Während die Lage schwierig und ungelöst ist, und auch Deutschland nun sagt, an das Ende von Belastbarkeit zu kommen, hat die Entscheidung im Ausland viel geholfen. Von unbezahlbarem Wert bleibt die Wirkung und wird auch Mehrwert nach sich ziehen, bin ich mir sicher. So hat die Kanzlerin ein Thema für sich gefunden, dass Mut verlangt und sie durchaus die Kanzlerschaft kosten kann. Daher kommt auch die Bewunderung, die durch die Medien überall zu spüren war. Nun ist alles noch anders gekommen. Doch Merkel sagte erst am Montag dieser Woche einen weiteren starken Satz, der in die Geschichtsbücher eingehen und Menschen weltweit mitnehmen wird: »Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.«