PPR-NEWS

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KW 29/2024

Wie Big Data und Neuromarketing alles ausleuchten, was bislang nicht sichtbar war: eine kritische Bewertung zweier großer und neuer Instrumente der Kommunikation

Wieso ich zuerst von Bundeskanzler Kohl und seinem Ackermann erzähle

Als es das Internet noch nicht gab, war eine bestimmte Person Auge und Ohr für die mächtigste Person im Land und damit das, was Big Data und Neuromarketing in heutigen Zeiten sein wollen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nutzte noch nicht, wie sein Nachfolger Gerhard Schröder, die Meinungsumfragen. Der Lenker einer Bevölkerung von rund 80 Millionen Menschen vertraute stets seinem Gefühl und seinem Instinkt. Wie der bodenständige Pfälzer seine Mehrheiten fand ist oft und tief beschrieben worden. Was viele nicht wussten, war, dass er einen Mitarbeiter hatte, der damals auf Fotos die ebenso schwere wie grobe Hornbrille trug, die zu dieser Zeit in Mode war. Herr Ackermann trat frühmorgens an den Schreibtisch von Helmut Kohl heran. Der recht unbekannt gebliebene Ackermann hatte bereits sehr früh für seinen Chef die Zeitungen gelesen. Er hatte die Medien analysiert und wusste, wer warum wie wo schrieb über das, was dort im Land so vor sich ging. Er legte dann im Gespräch mit Kohl seine Erkenntnisse über das Wissen und die Ahnungen vor, die ihm die Zeitungen am frühen Morgen boten. Wenn er dem Bundeskanzler die Lage der Nation aus diesen Informationen hergeleitet hatte, wusste und ahnte Helmut Kohl nun besser, was in der Bevölkerung so los war.

Zwei große Themen verdichten zu einer entscheidenden Frage

Big Data wurde bekannt, als Barack Obama mittels der Datenmenge, die das Internet ihm bot, möglichst tief und breit die Menschen bediente, die ihn später wählen sollten. Neuromarketing ist dagegen seit seiner Erfindung bisher nur wenig in der Öffentlichkeit präsent gewesen. Die Methode, auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Menschen neuronal zu beeinflussen, fristete eher ein Nischendasein. Beide Instrumente haben es gleichwohl in sich: In Wahlkämpfen, Produktentwicklungen und Werbekampagnen werden die Menschen passgenau abgeholt. Dies soll zu einer exakten, vorhersagenden Beurteilung der Verhaltensweisen führen. Doch wer nun behauptet, dass der Mensch berechenbar geworden ist, unterliegt einem großen Irrtum. Wer sah die Wende 1989 voraus oder den Arabischen Frühling? Wer sah voraus, dass fritz kola, von zwei coolen jungen Hamburgern gegründet, zu einer großen Firma und Marke werden würde? Die Verabsolutierung von neuen Hilfsmitteln in der Beeinflussung von Menschen ist somit selbst ein Irrtum. Wer die Unberechenbarkeit des Naturwesens Mensch kennt, der versteht, dass nur Wertevermittlung tatsächlich lange trägt. Nun nutzt sogar das Bundeskanzleramt Verhaltensforscher. Doch wer weiß, wie Angela Merkel tickt, weiß auch, dass sie am Ende so ist wie ihr Ziehvater Helmut Kohl: Schlussendlich zählt nur der Bauch einer Führungskraft, um zu entscheiden, wie er Menschen gewinnt und verändert. Und der Bauch selbst ist derart komplex, dass er immer noch die beste vorhersagende Antwort auf die Frage gibt, wie Menschen sich verhalten.

Thema der nächsten Woche: Der TV-Gigant Stefan Raab geht, wie er kam: eine Biografie, die Planung genauso beherrschte wie den Mut, anders zu sein – und einfach aufzuhören

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