PPR-NEWS

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KW 24/2024

Von der Idee der zynischen Aufklärung zum schwankenden Medium der Beliebigkeit

Als der Gründer und langjährige Chefredakteur Rudolf Augstein nach dem Zweiten Weltkrieg die Lizenz erhielt, ein journalistisches Medium zu drucken, war das Gold wert. Nur wenige erhielten von den Alliierten das Recht, aus den ideologischen Trümmern der NS-Zeit ein liberales, demokratisches Blatt zu erbauen. Henri Nannen gründete den »stern«, Gerd Bucerius die »Zeit«, Augstein den »Spiegel«. Nur aus der Gründungsgeschichte heraus ist zu verstehen, warum der »Spiegel« in vielen Jahrzehnten Wächter und Hüter der demokratischen Verfassung wurde und dem angelsächsischen Journalismus sich verpflichtet fühlte. Wohl war Augstein ein Zyniker, sagten viele, und damit einer, der die Wirklichkeit und ihr Erkennen über unrealistische Träume stellte. Gleichwohl schrieb er gegen die Regierungen, gegen den Papst und gegen alle an, die die offene Gesellschaft einschränken wollten, darunter vor allem gegen seinen Lieblingsgegner, den bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß. Wie eine Fabrik produzierte das Blatt die Magazingeschichten. Jeden Montag bebten Zimmer von Führungskräften aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, wenn das gedruckte Heft erschien - und viele Journalisten pflegten es, montags ihre Geschichten aus dem »Spiegel« zu klauen.

Wie scharf darf man mit denen ins Gericht gehen, die mit allen anderen am schärfsten ins Gericht gehen?

Ja, ich weiß: tempi passati. Der »Spiegel« hat sich verändert, weil sich die Gesellschaft verändert hat. Heute ist das Heft ein anderes, und vor allem ist die Online-Ausgabe des Magazins nicht mehr das, was für viele Redakteure, Mitstreiter und vor allem die meisten Leser früher das »Flakgeschütz der Demokratie« (so genannt nach der durchgestandenen »Spiegel«-Affäre um den Artikel »Bedingt abwehrbereit«) gewesen war. Spiegel.de versammelt seit langer Zeit ein Sammelsurium aus abseitigen Themen, wilden Society-Geschichten, merkwürdigsten Vorfällen und steilen Thesen, dass den alt gewordenen Anhängern Angst und Bange geworden ist. Zudem war es früher üblich, dass Leserbriefschreiber selbstredend bekannt waren, wenn sie sich an die Redaktion wandten. Die größte Irritation über die fast verschwundene Kultur der inhaltlichen und streitbaren Aufklärung sind die anonymen Kommentare auf spiegel.de. Wer sie seit Jahren liest, fragt sich, warum es noch Journalisten braucht, wenn anonyme Menschen dort teilweise höchst problematische Äußerungen machen. Die Kommentare folgen, so meine Einschätzung, der Kultur, der sich spiegel.de mehr und mehr gewidmet hat: Die sachgerechte Einordnung von Themen steht klein gegen die Zunahme der Unordnung von Quatsch und Trash. So ist die Krise der Medienlandschaft auch die Krise von Menschen einer Generation, die die Welt nicht immer ganz ernst nehmen. Ich, der ich einst alle »Spiegel«-Ausgaben von 1948 bis 1991 besaß und viele rückwärtig gelesen habe, habe mich von diesem Medium verabschiedet – wie viele andere auch.

Thema der nächsten Woche: Die kluge Kommunikation nach einem schwerwiegenden Konflikt: Hinweise, wie Führungskräfte Frieden wieder herstellen

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